Schaf Paul McCartney: Zwei Tage zwischen Leben und Tod
- Verein & Lebenshof Gut Rannerjosl
- 11. Okt.
- 8 Min. Lesezeit
Vor mittlerweile fast 3 Wochen mussten wir schweren Herzens Abschied von Schaf Paul McCartney nehmen. Bis vor kurzem war Paul völlig gesund und lebendig – wie alle unsere Schafe jeden Tag bei unserem täglichen Kontrollgang, wo wir auch immer auf äußere Merkmale und Verhaltensänderungen achten. Umso schockierender war es, als wir am 19.9. abends bemerkten, dass er sich deutlich von der Gruppe separierte, sehr schwach wirkte und zudem Blut an Mund und Nase aufwies.
Was zunächst wie eine einfache Aufgabe klang – Paul von der Sommerweide in den Winterstall zu bringen, um ihn genauer untersuchen zu können –, entwickelte sich zu einer körperlich wie emotional extrem belastenden Tortur. Wir mussten ihn und auch Ellie Golding (die ebenso leicht auffällig wirkte) zu zweit hochschieben, tragen und stützen.
Im Stall angekommen, haben wir sofort einen ersten Check durchgeführt: Fieber gemessen, Augenlidfarbe und Atmung kontrolliert, den After auf Durchfall untersucht, die Klauen überprüft und den Mundraum inspiziert. Es wurde ziemlich schnell deutlich: Pauls Zustand war ernst: erhöhte Körpertemperatur, Durchfallanzeichen, Kurzatmigkeit, Veränderungen im Mundraum sowie das austretende Blut, während bei Ellie all diese Symptome glücklicherweise nicht vorhanden waren. Ein weiteres ernstes Anzeichen bei Paul war seine Appetitlosigkeit trotz unserer Bemühungen, ihm neben frischem Grün und Heu auch Leckerlis anzubieten, sowie seine Seitenlage, die bei Schafen schnell zu ernsthaften Problemen mit dem Pansen führen kann. Leider konnten wir zu diesem Zeitpunkt keinen Tierarzt erreichen, der Paul noch am selben Abend untersucht und behandelt hätte.
Somit verbrachte Thomas die Nacht wach bei Paul und Ellie im Stall, um sofort reagieren zu können, falls Paul sich auf die Seite legen sollte.
Am nächsten Morgen konnten wir nach mehreren Anrufen endlich einen Tierarzt erreichen und dazu bewegen, einen Hausbesuch zu machen. Durch die deutliche Symptomatik (Fieber, Lippenödeme, Hyperämien der oralen und nasalen Schleimhäute, Schwäche) wurde unser Verdacht – eine Infektion mit der Blauzungenkrankheit – vom Arzt bestätigt und leider war die Prognose des Arztes nicht vielversprechend, da sich Paul zu diesem Zeitpunkt bereits in einem sehr geschwächten, apathischen Zustand befand. Unvorstellbar wenn man bedenkt, dass er vor 2 Tagen noch keine äußerlichen Symptome zeigte, der Krankheitsverlauf also besonders schnell und heftig verlief.
Die Blauzungenkrankheit, eine durch Gnitzen (kleine Insekten) übertragene Virusinfektion, für die es kein Heilmittel gibt, fordert im Gegensatz zu Ziegen oder Rindern bei Schafen oft einen schweren Verlauf und sehr häufig überleben Schafe die Krankheit nicht.
Alles was wir tun konnten: ihm Schmerzmittel und Entzündungshemmer zu verabreichen, um sein Leiden zu lindern. Eine Blutprobe wurde auch entnommen, da die Erkrankung meldepflichtig ist.
BTV & die Lücken im System
Diese Diagnose traf uns wie ein Schlag, zumal BTV in den letzten Jahren in Österreich von Seiten der Behörden und Medien kaum thematisiert worden war und wir daher nicht im Bewusstsein waren, dass unsere Schafe davon ernsthaft betroffen sein könnten und eine Schutzimpfung Leben hätte retten könnte. Wir ärgern uns sehr über die lasche Informationsvermittlung der Behörden, denn eine rechtzeitige Warnung hätte sicher dazu geführt, dass wir Maßnahmen ergriffen hätten um die Tiere möglichst vor einer Infektion zu schützen. Mehr dazu unter „Was bleibt – unsere Erkenntnisse & unser Appell“.
Nachdem der Tierarzt da war, hielten wir ebenso Wache bei Paul, denn er hatte jetzt zwar kein Fieber mehr, war aber sehr schwach, atmete schwer und fiel immer wieder in Seitenlage. Unzählige Male mussten wir ihn aufrichten, sprachen ihm gut zu und waren zu diesem Zeitpunkt noch in Hoffnung, dass er es schaffen könnte. Abends nachdem wir uns abgesprochen hatten, wer heute die Nachtschicht bei Paul übernehmen würde und den Stall aufsuchten–, befand er sich wieder in Seitenlage und atmete plötzlich nur mehr ganz flach. Wir sackten zu ihm auf den Boden, richteten ihn ein letztes Mal auf, merkten dann aber, dass seine Atmung komplett stoppte und schließlich der Herzschlag verstummte.
Wir standen unter Schock. Und es war und ist noch immer schwer zu begreifen (und der Grund warum wir beim Schreiben dieses Blog-Beitrags unzählige Tränen vergießen), dass ein gesundes Tier innerhalb so kurzer Zeit so schwer erkranken und sterben kann und dass all unsere Liebe, Fürsorge und ständigen Bemühungen zum Wohlbefinden und fortlaufenden Optimierungen zum Schutz der Tiere vor allen möglichen Gefahren ihn nicht davor bewahren konnten, dass sein Leben so abrupt endete.
Zum richtigen Trauern blieb wie so oft keine Zeit, schließlich haben wir noch viele weitere Tiere zu versorgen und auch Ellie wirkte nicht ganz gesund - sie lahmte und ihre Kronsäume waren errötet, was ebenso ein Symptom der Blauzungenkrankheit sein kann, d.h. auch sie musste beobachtet und versorgt werden (Update: Zum Glück war Ellies Verlauf milder und sie ist mittlerweile wieder genesen). Außerdem haben wir als Sofortmaßnahme sowohl den Schafen als auch Ziegen erneut (wir verwenden seit heuer regelmäßig Deltamethrin um die Tiere möglichst vor Insektenstichen zu schützen) ein Repellent auftragen, denn für die Schutzimpfung wäre es zu diesem Zeitpunkt ohnehin zu spät gewesen.
Paul McCartney, es bleibt uns nur mehr, dir in Gedanken zu sagen: Wir sind dankbar, knapp 3 Jahre die Obsorge für dich getragen zu haben, sind untröstbar, dass dein Leben viel zu früh endete und genauso wie deine FreundInnen, werden auch wir dich mit deinen Eigenheiten und deiner neugierig, schüchternen und liebevollen Art nie vergessen.
Strukturelle Herausforderungen im Hofalltag
Auch wenn wir wissen, dass wir täglich unser Bestes geben und das Wohl unserer Schützlinge immer an erster Stelle steht – in solchen Situationen haben wir das Gefühl, zu wenig getan zu haben, Möglichkeiten übersehen oder falsch eingeschätzt zu haben, im Umsetzen hinterher zu hinken – schlicht gesagt: versagt zu haben! Diese Ohnmacht wird verstärkt durch strukturelle Probleme, die uns sehr belasten: Es ist extrem schwierig, zuverlässige Unterstützung zu finden. Menschen, die sich mit Sorgfalt und Verantwortung für die Tiere einsetzen, wie wir es tun und auch voraussetzen. Zweimal in Folge und kurz vor diesem furchtbaren Notfall haben wir erlebt, dass diese sogenannte „ehrenamtliche Mithilfe“ für uns zusätzlichen Stress verursacht hat und deutlich wurde, dass es leider nicht selten Menschen gibt, die selbst bei einem Einsatz am Lebenshof ihre persönlichen Befindlichkeiten im Fokus haben und den Hofaufenthalt mit einem Retreat verwechseln (Anm.: auf unsere Erfahrungen werden wir in einem eigenen Blog-Beitrag ausführlich eingehen). Wenn dann neben der zeitintensiven Einschulung und Koordination freiwilliger HelferInnen noch mehrere unvorhergesehene tierische Notfälle eintreffen wie von Ende August bis Mitte September geschehen, die unsere ganze Aufmerksamkeit erfordern, gerät man sehr schnell an seine Grenzen – körperlich, organisatorisch und emotional.
Unser Ziel war und ist es immer: Uns stetig weiter zu bilden, an unseren Aufgaben zu wachsen, angeeignetes Wissen in der Praxis umzusetzen und laufend zu optimieren, v.a. was eine noch gründlichere Vorsorge der Tiergesundheit betrifft, noch mehr Optimierungen der Haltungsbedingungen, noch intensivere Beobachtung der Tiere und schlussendlich die Aufklärungsarbeit darüber, also dem Teilen unserer Erfahrungen mit unserer Community.
Heuer lag unser Fokus etwa auf noch intensiverer und genauerer Klauenpflege, gezieltem Parasitenmanagement sowie dem Erstellen und Umsetzen eines Konzepts für Biosicherheitsmaßnahmen nachdem die Maul- und Klauenseuche im Frühjahr 2025 in Nachbarländern ausgebrochen war, die zusätzlich zur täglichen individuellen Tierbetreuung und dem Sauberhalten von Stallungen und Ausläufen, viel Zeit und Mühe erfordert.
Trotz all unserer Bemühungen stoßen wir dabei an unsere zeitlichen und körperlichen Grenzen, weil wir praktisch nach wie vor großteils alles zu zweit bewältigen müssen und keine Freizeit mehr haben. Wir scheuen weder Kosten noch Mühen – jede Entlastung durch verlässliche Hilfe würden wir nicht für mehr Freizeit nutzen, sondern dafür, die Tiere noch umfassender zu unterstützen und unser Wissen weiterzugeben.
Es belastet uns sehr, dass wir dies nicht in dem Ausmaß tun können, wie wir es gerne würden – obwohl wir bereits jetzt den Großteil unserer Zeit der Tierbetreuung widmen und unermüdlich daran arbeiten, die Bedürfnisse der Tiere zu erforschen und in jede mögliche Optimierung zu investieren.
Solange verlässliche Unterstützung fehlt, müssen wir mitansehen, wie das, was wir erreichen und auch veröffentlichen könnten, an Zeitmangel und Erschöpfung scheitert.
Was bleibt – unsere Erkenntnisse & unser Appell
Wie so oft, wenn etwas geschieht, das wir in dieser Form noch nie auf dem Lebenshof erlebt haben, beginnt im Nachhinein das Recherchieren, Nachdenken und Lernen.
Unsere Erkenntnisse daraus: Unser geliebter Paul starb an den Folgen der Blauzungenkrankheit – einer Virusinfektion, die durch winzige Gnitzen übertragen wird und bei Schafen meist einen schweren, oft tödlichen Verlauf nimmt.
Erschüttert hat uns nicht nur der Schmerz über diesen plötzlichen Verlust, sondern die Erkenntnis, wie unvorbereitet wir – und viele andere Betriebe – getroffen wurden.
Es gab seitens der Behörden keine entsprechende Vorwarnung für diesen neuen Serotyp (BTV-8), von dem auch Paul betroffen war wie die Laborergebnisse zeigten, der wie eine Welle ab August in Kärnten und in der Steiermark hereinbrach.
Hier ein Zeitungsartikel, in dem klar wird, dass nicht nur wir überrascht waren:
In dieser öffentlichen Berichterstattung wird erst im Oktober darüber berichtet, dass die ersten Todesopfer der Blauzungenkrankheit in der Steiermark zu verzeichnen sind. Tatsächlich begann der Ausbruch der Erkrankungen und Todesfälle bereits deutlich früher.

Rückblickend auf das vorige Jahr möchten wir anmerken, dass auch damals BTV kaum thematisiert wurde, es war hauptsächlich von Rinderbetrieben die Rede und es hieß, der Impfstoff sei kaum erhältlich. Alles Gründe weshalb für uns bereits 2024 das Thema BTV kaum Beachtung fand. Kurze Zeit später, im Frühjahr 2025, drehte sich alles nur noch um die MKS (Maul- und Klauenseuche), wo wir uns mit unseren knappen Ressourcen darauf konzentrierten, intensiv an unseren Biosicherheitsmaßnahmen zu arbeiten, damit im Falle eines Ausbruchs unsere Tiere möglichst verschont werden vor Zwangstötung (Anm.: das sind übrigens eine von vielen Dingen, die still und heimlich passieren – nicht weil wir es nicht gerne viel mehr veröffentlichen würden, sondern weil uns schlicht die Zeit dazu fehlt).
Von BTV bei Schafen oder etwaigen Impfungen war zu keinem Zeitpunkt in Österreich seitens der Behörden eine wahrnehmbare Rede – keine Warnung, keine Information, keine Empfehlung. Erst in der heißen Phase – mit vielen betroffenen Betrieben (einschließlich unserem) –, wurden die Behörden laut und die Medien griffen das Thema auf. Zu spät – denn die Empfehlung, Tiere nach Möglichkeit zwischen Abend- und Morgendämmerung in den Stall unterzubringen, da die Gnitzen in dieser Zeit besonders aktiv sind und der Einsatz von Insektiziden als zusätzlichen Schutz vor einer Übertragung, lasen wir erst kurz nach Pauls Ableben. Impfungen werden während der aktiven Phase der Gnitzen nicht empfohlen wegen zu großer Nebenwirkungen und somit befinden wir uns nach wie vor – aufgrund der derzeit wieder milden Temperaturen – in einem Zustand der Angst, denn die Gefahr vor weiteren Infektionen ist noch nicht gebannt.
BTV ist nur eine von vielen möglichen ernstzunehmenden Viruserkrankungen, die Tieren gefährlich werden können. MKS, Schweinepest, Vogelgrippe, Newcastle Disease, Maedi-Visna, … die Liste der Gefahren sind schier unendlich.
Den Mangel an Information empfinden wir als den größten Faktor, der zwischen Leben und Tod entscheidet. Wie sollen Menschen, die rund um die Uhr für ihre Tiere da sind, gleichzeitig noch jede Woche sämtliche Informationsseiten, Amtsblätter, Agrarportale und Behördenkanäle durchforsten? Wie soll man bei der täglichen Versorgung dutzender Tiere, bei Notfällen, Stallarbeiten und Pflege noch Zeit haben, herauszufinden, ob irgendwo ein neuer Seuchentyp kursiert? Ist es nicht längst überfällig, dass solche Informationen aktiv weitergegeben werden – etwa per SMS oder E-Mail, wenn neue Fälle auftreten oder Impfungen empfohlen werden?
Jeder Betrieb muss gemeldet sein (so auch wir als Lebenshof).
Jedes Tier muss gemeldet sein (so auch unsere Tiere am Lebenshof).
Es gibt unzählige Verordnungen, die (auch von uns) einzuhalten sind.
Es wäre technisch leicht machbar, als Betrieb in Kenntnis wichtiger Informationen gesetzt zu werden – und würde Leben retten. Stattdessen erfahren wir es erst jetzt. Weil Tiere sterben mussten. Weil unser Paul sterben musste.
Was wir uns wünschen
Wir wünschen uns von den Behörden, dass endlich Strukturen geschaffen werden, die TierhalterInnen rechtzeitig warnen, informieren und einbinden – nicht erst, wenn das Virus schon im Stall bzw. auf der Weide ist. Wir brauchen eine funktionierende Informationskette, die proaktiv funktioniert und ein System, das auf die Praxis Rücksicht nimmt – auf Menschen (egal ob Landwirte/Landwirtinnen oder LebenshofbetreiberInnen), die mitunter rund um die Uhr für Tiere da sind. Dies wäre ein minimaler, aber entscheidender Schritt.
Wir wünschen uns von ehrenamtlichen HelferInnen, dass es mehr regelmäßige, verlässliche, längerfristige Unterstützung am Hof gäbe, um unser fortlaufendes Wissen zur Verbesserung der Lebensbedingungen am Hof leichter und schneller umsetzen und somit für die Tiere noch mehr rausholen zu können. Im Idealfall auch ehrenamtliche HelferInnen, die mit uns gemeinsam die Erfahrungen, Erkenntnisse und das angesammelte Wissen zum Publizieren auf all unseren Kanälen aufbereiten.
Wir wünschen uns von aktiven TierschützerInnen, dass nicht nur die industrielle Tierhaltung thematisiert und (zurecht) angeprangert wird, sondern auch die Tierhaltung von Privatpersonen und auf Lebenshöfen - mit all der damit verbundenen Verantwortung und Herausforderung - Beachtung findet. Denn genau dort entstehen schlussendlich die Erkenntnisse, die letztlich zum echten Gamechanger werden können: beim Verstehen, Erfassen und Weiterentwickeln des Wissens über die Bedürfnisse und Probleme von Tieren.
Wir wünschen uns, dass Pauls Tod nicht umsonst war.



















































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